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Polstab und Äquatorbogen

Einleitung

Vom mit den beiden Koordinaten Stundenwinkel und Deklinationswinkel messbaren Sonnenstand interessiert primär der die Tageszeit repräsentierende Stundenwinkel. Bei den älteren, die Sonne mit Nodus abbildenden Sonnenuhren sind aus der Lage des Bildpunkts beide Koordinaten ablesbar. Erfindung und Gebrauch des Polstabs ermöglichten es, auf die Anzeige des Deklinationswinkels zu verzichten zu Gunsten der deutlicheren, besser ablesbaren und vom Jahresdatum unabhängigen Anzeige des Stundenwinkels (Anmerkung 1). Es stellt sich die Frage, ob es auch für die deutliche, alleinige und von der Tageszeit unabhängigen Anzeige des Delinationswinkels ein Abbildungsverfahren gibt.

Inhalt

1. Polstab
2. Äquatorbogen
3. Anmerkungen

1. Polstab  

Der Ort der Sonne an der Himmelskugel (Sonnenstand) ist als relative Winkellage zum Meridian eines Ortes auf der Erde (Ortsmeridian) und zum Himmelsäquator beschreibbar (Abb.1). Der Stundenwinkel Τ wird zwischen dem Meridian und demjenigen Längenkreis, auf dem sich die Sonne befindet, gemessen. Der Längenkreis befindet sich in einer Ebene, die bezüglich der Sonne Stundenebene genannt wird (Ebene, in der sich die Sonne zur Stunde befindet). Die über den Tag von der Sonne besetzten Stundenebenen enthalten alle die Himmelsachse, beziehungsweise alle Stundenebenen schneiden sich in der Himmelsachse (Abb.2 und Abb.3).

Abb.1  Die Sonne auf der von außen gesehenen
           Himmelskugel (Sonnenstand);
           Erde (Mittelpunkt der Himmelskugel) und Sonne
           extrem vergrößert gezeichnet


Abb.2  6 von 24 Stundenebenen (15° Winkel- bzw.
           60 Minuten Zeitunterschied von Ebene zu Ebene);
           alle Stundenebenen enthalten die Himmelsachse



Abb.3  Blick von Nord auf die Himmelskugel;
           alle Stundenebenen enthalten die Himmelsachse (senkrecht zur Bildebene, durch NP gehend)
Abb.4  Wandsonnenuhr mit Polstab  am Braunschweiger Dom [Wikipedia]

Die Bezeichnung Stundenebene deutet an, dass sich die Sonne zu einer bestimten Tageszeit immer in dieser Ebene (genauer: auf ihrem Rand) befindet, sich in ihr nur von Tag zu Tag innerhalb eines Jahres mit sich änderndem Deklinationswinkel δ aufhält. Wenn die Kenntnis des Deklinationswinkels verzichtbar ist, braucht ausschließlich diejenige Stundenebene, in der sich die Sonne zu einer bestimten Tageszeit an jedem Tag im Jahr aufhält, auf einem Sonnenuhrenzifferblatt angezeigt werden.

Mit einem Nodus wird die Sonne gnomonisch auf das Zifferblatt projiziert. Gnomonisch heißt, dass die Mitte der Himmelskugel Projektionszentrum ist. Weil die Erde sehr klein im Verhältnis zum Radius der Himmelskugel mit der Sonne ist (Radienverhältnis etwa 1 : 24'000), kann jeder Punkt auf der Erde als Projektionszentrum angenommen werden. Die Abbildung mittels Polstab ist eine Projektion mit einem linienförmigen Projektions-"Zentrum", das zunächst von der durch den Erdmittelpunkt führende Himmelsachse gebildet wird. Wegen der genannten Größenverhältnisse kann der aus der Erdachse beziehungsweise aus der Himmelsachse parallel zu jedem Ort auf der Erde verschobene Polstab dafür verwendet werden. Der Polstab ist in allen Stundenebenen enthalten. Er wirft einen linienförmigen momentanen Schatten als linienförmig ausgedehntes momentanes Bild der Sonne, das gleichzeitig das Bild der von der Sonne momentan besetzten Stundenebene ist, auf das Zifferblatt. Die Information ist in der Lage des Schattens auf der quer verlaufenden Stundenskala enthalten. Bei den verbreiteten Boden- und Wandsonnenuhren (Abb.4) schneidet der Polstab ein ebenes Zifferblatt. Der Linienschatten dreht von Stunde zu Stunde um den Schnittpunkt zwischen beiden (Fußpunkt des Polstabs). Seine Drehlage ist zusätzlich leicht ablesbar, wenn die Skalenlinien auf dem Zifferblatt ebenfalls radial ausgedehnt sind, beim oder nahe beim Fußpunkt beginnen.

2. Äquatorbogen  

Die tägliche Bahn der Sonne am Himmel ist in guter Näherung ein Parallelkreis zum Himelsäquator oder der Himmelsäquator selbst. Ein Sonnenstrahl zur Erde bildet über den Tag den Mantel eines Kegels, dessen Grundkreis dieser Parallelkreis und desssen Spitze die Mitte der Himmelskugel beziehungsweise ein Punkt auf der Erde ist (Abb.5). Den über den Tag verteilten Stundenebenen entsprechen die über das Jahr verteilten Kegelmäntel als Deklinationsflächen. Die Kegelmäntel haben im Gegensatz zu den Stundenebenen nicht eine gemeinsame Gerade sondern nur in einen gemeinsamen Punkt, in dem sich alle Spitzen befinden (die Kegelmäntel sind untereinander koaxial angeordnet). Die Gemeinsamkeit nur eines Punktes deutet sofort die Einschränkung auf eine Abbildung der Sonne mittels Nodus in einer den Deklinationswinkel anzeigenden Sonnenuhr an. Das heißt, dass die Anzeige des Stundenwinkels zwar eliminiert werden kann, der Deklinationswinkel aber wie bisher üblich aus der Lage eines Punktes auf dem Zifferblatt abzulesen ist. Es zeigt sich lediglich, dass dieser Punkt die Kreuzungsstelle einer Schattenlinie mit einer einzigen Skalenlinie ist und somit auf dem zweidimensionalen Zifferblatt relativ schnell gefunden werden kann (Analogie zur Analemmatischen Sonnenuhr, bei der ein Stabschatten eine meistens elliptische Skalenlinie kreuzt, siehe Eine mathematische Beschreibung der Analemmatische Sonnenuhr, Abschnitt 4, Abb.6.).

Abb.5  Schnitt durch die Himmelskugel: Deklinationskegel mit ihrer Spitze im Kugelmittelpunkt
Abb.6  Extrem vergrößerte Mitte der Himmelskugel: Deklinationskegelspitzen aus dem Kugelmittelpunkt so weit
           verschoben bis jeweiliger Kegelmantel den Schatten-Ring enthält

Abb.7  Polare Sonnenuhr mit Äquatorbogen

Beim oben gezeigten extremen Größenverhältnis zwischen Himmel (Abb.5: Durchmessewr der Himmelskugel etwa 300 Mill km) und einer Sonnenuhr (Abb.6 und Abb.7: Durchmesser des Schattenrings 15 cm) lassen sich die Deklinationskegelmäntel auf ihrer gemeinsamen Kegelachse in einer Sonnenuhr ohne Nachteil so verschieben, dass sie in einem äquatorialen Schattenring enthalten sind. Die unterschiedliche Lage ihrer Spitzen auf einer zum Himmelspol zeigenden Geraden (Polachse) ist dann Merkmal ihres unterschiedlichen Kegelwinkels beziehungsweise Deklinationswinkels. Das Zifferblatt der entsprechenden Sonnenuhr ist in polarer Lage, das heißt, dass es die Polachse enthält. Es wird ganztägig (maximal 12 Stunden) von der Sonne getroffen, wenn auch die Ost-West-Gerade in ihm liegt. Der äquatoriale Schattenring wird zum Halbring, zum Äquatorbogen (Abb.7, Anm. 2).

Ein Strahl von der Sonne zur Kegelspitze wird auf seiner Tageswanderung dauernd vom Äquatorbogen unterbrochen (Abb.8). Der momentane Treffpunkt mit dem Bogen ist der momentane, über den Tag im Bogen wandernde Nodus, dessen Schatten sich in der Kreuzungsstelle des gesamten Bogenschattens mit der geraden, zur Erd- und Himmelsachse parallelen Deklinationsskala befindet. Die Skala zeigt an ihrem nördlichen Ende den kleinsten (Wintersonnenwende: - 23,5°), am südlichen Ende den größten (Sommersonnenwende: + 23,5°) Deklinationswinkel an. An den Tag-Nacht-Gleichen fällt der Schatten des Bogens als Gerade auf die Skalenmitte, der Deklinationskegelmantel ist zur Ebene ausgeartet.

Abb.8  Sonnenuhr mit polarem Zifferblatt unter schattenwerfendem Äquatorbogen (Nord ist oben)

3. Anmerkungen   

Anmerkung 1:   
Vor dem Auftauchen des Polstabes im späten Mittelalter wurde der Tag noch in übers Jahr unterschiedlich lange sogenannte temporale Stunden unterteilt. Da zwischen diesen und dem Stundenwinkel keine Proportionalität besteht, war eine mit Nodus erzeugte punktförmige Anzeige erforderlich. Die temporale Tagesstunde wurde mittels einer entsprechenden Skalierung auf dem Zifferblatt aus den im Bildpunkt enthaltenen Informationen sowohl über den Stunden- als auch über den Deklinationswinkel ermittelt. Die Kenntnis des Polstabes hätte vor dem ebenfalls im späten Mittelalter beginnenden Gebrauch der zum Stundenwinkel proportionalen gleich langen, sogenannten äquinoktiialen Tagesstunden keine Anwendung zur Folge gehabt.

Anmerkung 2:   
Ein Äquatorbogen als Schattenwerfer begegnete mir erstmals in einer polaren Foster/Lambert-Sonnenuhr als Einstellhilfe für den Schattenstab: Analemmatische Sonnenuhr nach Foster und Lambert, Abschnitt 5, Abb.7.

LogoSW Siegfried Wetzel, CH 3400 Burgdorf (September 2013)

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