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Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger

Inhalt

  1. Das Museum Franz Gertsch in Burgdorf/Bern und seine Jahreszeiten-Uhr
  2. Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden (am Gertsch-Museum geplant)
      2.1 Astronomische Grundlagen und ein Sonnen-Sektor
      2.2 Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden
      2.3 Vergleich mit einer Sonnenuhr mit zusätzlichen Deklinationslinien auf dem Zifferblatt
      2.4 Varianten zum Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden
  3. Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit abweichenden Nordwänden (am Gertsch-Museum gebaut)
      3.1 Verdrehung warum?   Verdrehung lässt sich vermeiden !
      3.2 Ablesen zu welchem Zeitpunkt ?
      3.3 Wie groß ist die Verdrehung ?
      3.4 Vergleich mit einer "naiven" Sonnenuhr
      3.5 Beobachtungen bei Frühlingsanfang 2023
  4. Anmerkungen
  5. Quellen

1. Das Museum Franz Gertsch in Burgdorf/Bern und seine Jahreszeiten-Uhr

Abb.1 museum franz gertsch in Burgdorf/Bern (geogr. Breite φ = 47,06° Nord; geograph. Länge λ = 7,63° Ost)
          im Vordergrund ein vorwiegend unterirdischer Anbau mit einer markanten Front am oberrirdischen Teil:
          3 unregelmäßige Zinnen

Im museum franz gertsch in Burgdorf/Bern wurden im Jahr 2019 vier neue, wie üblich ziemlich große Gemälde von Franz Gertsch aufgenommen. Das Museum war dafür extra mit einem vorwiegend unterirdisch gelegenen Anbau erweitert worden. Diese vier Gemälde bilden zusammen einen "Jahreszeiten" genannten Zyklus (Anmerkung 1). Der Architekt brachte am oberirdischen Dach des Anbaus wie schon an den älteren Gebäuden des Museums wieder eine seiner geometrischen "Markierungen" an, diesmal leicht erkennbar und mit einem Namen versehen, nämlich Jahreszeiten-Uhr. Es handelt sich um drei unregelmäßig geformte, an einem Rand des Anbau-Dachs angebrachte Vielflächner ("Zinnen", Abb.1). Eine ihrer Oberflächen ist so orientiert, dass sie zu Beginn der ihr zugeordneten Jahreszeit vom Sonnen-Licht in besondere Weise getroffen wird.

Dass diese Zinnen etwas Ähnliches wie eine Sonnenuhr seien, war mir vom Hörensagen bekannt, bin dem aber erst seit dem Sommer 2021 nachgegangen. Auf der Webseite des Museums fand ich folgenden, vom Architekten verfassten Text (Abb.2).

Abb.2 Beschreibung der Jahreszeiten-Uhr auf der Webseite museum franz gertsch (Abschnitt: "Erweiterungsbau")
           Auf die mit Unterstrich markierten Textteile wird weiter unten eingegangen (Abschn.2.2).

Abb.3 Beschreibende Tafel der Jahreszeiten-Uhr

An einem der Museumszugänge endeckte ich zwar einen Wegweiser zu dieser Einrichtung, die beschreibende Tafel (Abb.3) wurde aber erst später aufgestellt. Sie enthält in etwa das Gleiche, was auf der Museums-Webseite steht, und eine Ergänzung, nämlich, dass sich auch die Beleuchtung der Bodenfläche hinter den Vielflächnern ändert.

Die in Beton "gemeiselte" Einrichtung wurde nun mit einer davor angebrachten "Bedienungsanleitung" ergänzt. Leider passen beide gar nicht zusammen. Die zu beobachtenden Flächen sind nämlich in der gebauten Jahreszeiten-Uhr gar nicht exakt nach Norden ausgerichtet. Der Anlage ist das nicht ohne weiteres anzusehen, und dem Beobachter wird das einfach verschwiegen.

Das Verdrehen der Flächen um einige Winkelgrade aus der Nordrichtung heraus (in Draufsicht im Gegenuhrzeigersinn) hatte einen banalen Grund, nämlich dass die Winter-Zinne zur Wintersonnenwende (WSW) kurz vor Sonnenmittag in den Schatten eines Nachbarhauses gerät. Somit entstand eine Einrichtung, die für den durchschnittlichenen Beobachter nicht naheliegend, schlecht verständlich und wenig instruktiv ist. Die verdrehte Einrichtung ist nicht dann, wenn die Sonne mittags hoch am Himmel steht (Abb.2), sondern jeweils 12:00 Uhr Mitteleuropäische Zeit (MEZ) zu benutzen. Durch die punktgenaue Zeitangabe wird der Beobachter wie auch der Verfasser dieses Berichtes zur Annahme verleitet, dass die Jahreszeiten jeweils 12:00 Uhr MEZ am jeweiligen Kalendertag begännen. Das ist falsch. An Orten auf anderen Längengraden wäre die Uhrzeit eine andere. Und überhaupt, der atronomisch exakte Beginn kann sogar in der Nacht stattfinden, wenn die Sonne gar nicht scheint (im o.g. Bericht 22:58 Uhr MEZ am vorherigen Tag). Der Sonnenstand bzw. der Deklinationswinkel δ der Sonne ändert sich während Tagen so wenig (besonders bei Sommer- und Winteranfang), dass ein solcher Moment nicht einmal auf den Tag genau angezeigt werden kann. Insofern muss überhaupt nicht auf eine bestimmte Uhrzeit geachtet werden. Die Sonne steht täglich am sogenannten Wahren Mittag (in Burgdorf etwa 12:30 Uhr MEZ, 13:30 Uhr MESZ) am höchsten, und die Sonnenhöhe (Winkel h) ändert sich recht lange vorher und nachher vernachlässigbar wenig (die Sonnendeklination noch sehr viel weniger). Die Beobachtungen an den drei Zinnen müssen deshalb lediglich innerhalb eines Zeitfensters von wenigstens einer Stunde am Wahren Mittag stattfinden. Bei der verdrehten Einrichtung ist ein solches Zeitfenster nicht definiert. An ein paar aufeinanderfolgenden Tagen wechselt die Rückseite einer Zinne immer etwa 12:00 MEZ die Beleuchtung (Streiflicht ↔ Schatten). Der umgekehrte Wechsel tritt später als 13:00 Uhr MEZ oder gar nicht ein. Die eindrückliche Symmetrie in den Lichtverhältnissen beidseits des Wahren Mittags wird also an diesen verdrehten Zinnen nicht nachgebildet, wohl aber an den unverdrehten mit exakten Nordwänden. Insbesondere die Symmetrie beobachten zu können, wäre erwünscht, denn sie verweist auf die Ursache (Rotation der Erde um sich selbst) für den über den Tag wechselnden Stundenwinkel Δτ hin. Die Ursache (Umlauf der Erde um die Sonne) der über das Jahr wechselnden Sonnendeklination Δδ ist in der Symmetrie der von Tag zu Tag sich ändernden Sonnenhöhe Δh (zum Wahren Mittag) zu erkennen. Rotation bzw. kreisförmige Bewegung und sogenannte Rotationssymmetrie sind zusammengehörende Erscheinungen.

Ist das Gertsch-Museum nach anfänglichem Enthusiasmus ebenfalls zu diesem Urteil gekommen? Es könnte sein, denn auf den Unterschied zwischen Plan und tatsächlicher Ausführung wird ja nicht eingegangen. Der bis heute unveränderte Webseitentext (Abb.2) beschreibt das, was offensichtlich geplant war. Es vergingen mehr als zwei Jahre seit der Fertigstellung bis endlich eine - mit übernommenem, nicht zutreffenden Text versehene, also nur als Alibiübung (Anmerkung 2) auffassbare - Tafel (Abb.3) vor der Jahreszeiten-Uhr aufgestellt wurde.

Den Jedermann-Beobachter muss ich leider raten, diese Einrichtung bezüglich des ihr zugedachten kalendarischen Zwecks inklusive der Darstellung der entsprechenden astronomischen Zusammenhänge zu ignorieren, um nicht enttäuscht zu werden. Sie bietet nicht das, was sie verspricht. Und dafür, was sie bietet, ist er der ungeeignete Adressat.

Mit ein paar ans Ende (Abschnitt 3.) gesetzten Beobachtungen an der existierenden Jahreszeiten-Uhr und Überlegungen dazu wende ich mich an Leser mit astronomischer Vorbildung und besonderem Interesse, sich mit dieser Besonderheit auseinanderzusetzen.

Hauptsächlich (Abschnitt 2.) werde ich mich mit einem Vier-Jahresdaten-Anzeiger*) beschäftigen, der dem Architekten des Museums vorschwebte, der aber so nicht gebaut wurde.

*) Im Folgenden wird von Vier-Jahresdaten-Anzeiger anstatt von Jahreszeiten-Uhr gesprochen, weil nur die Zeitpunkte der Jahreszeiten-Anfänge gemeint sind. Anstatt Uhr wird Anzeiger verwendet, weil von einer Uhr vorzugsweise die Tageszeit und nicht ein Jahresdatum abzulesen ist.

2. Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden (am Gertsch-Museum geplant)

Behandelt wird der Vier-Jahresdaten-Anzeiger*), der dem Architekten des Museums vorschwebte.
Für die Sommersonnenwende (SSW) wäre eine Südwand vorzuziehen. Eine überhängende Südwand hat der Architekt wohl aus äshetischen und Ordnungsgründen (gleiche Richtung an allen 3 Zinnen), nicht aus bautechnischen Gründen (eine überhängende Wand ist kein Problem) verworfen.

2.1 Astronomische Grundlagen und ein Sonnen-Sektor

Die veränderliche Position der Sonne auf der (Oberflächen-Innenseite der) Himmelskugel wird üblicherweise mit Hilfe der sphärischen Koordinaten Stundenwinkel τ und Deklinationswinkel δ im ortsfesten äquatorialen Koordinatensystem angegeben (Abb.4: Sonnen-Sektor) [1]. Darin ist ein Schnittpunkt der in den Himmel hinaus erweiterten Ebene des Erd-Äquators mit dem Meridiankreis der Bezugspunkt. Dieses System ist im Unterschied zum rotierenden Äquatorsystem ortsfest, weil der Stundenwinkel vom Erd-ortsfesten Meridian aus gemessen wird.

Abb.4 Sonnen-Sektor (Sektor ist der fehlende, der aus der Tageshälfte der Himmels-Kugel ausgeschnittene Teil,
           unten die Nachthälfte):
           Styropor, ∅ = 15cm, φ = +45°
           Der Sektor wird außer von der Himmelssphäre vom Horizont und von zwei Kegelflächen begrenzt
           (blau: WSW, gelb: SSW).
           Eingeschoben sind die Hälfte der Äquatorebene (grün) und ein keilförm. Stück der Meridianebene (weiß)
           In deren äußerem Schnittpunkt befindet sich eine die Sonne symbolisierende kleine weiße Kugel
           und im Systemmittelpunkt eine die Erde bzw. den Beobachter symbolisierende Kugel.
           ([1] und Sonnen-Sektor, eine vielseitige Gartenplastik)

Der Stundenwinkel ist ein Maß für die momentane Stellung der Erde während ihrer Rotation um die eigene Achse. Sein Wortteil Stunde ist darin begründet, dass die Tagesstunde mittels dieses Winkels definiert ist.
Mit dem Deklinationswinkel wird die momentane Abweichung (deutsch für den astronomischen Begriff Deklination) der Sonne vom Äquator während ihres (um die Erde scheinbaren) Umlaufs gemessen. Ursache für die fortwährend andere Abweichung ist die im Weltraum unveränderliche und somit relativ zur (scheinbar) bewegten Sonne veränderliche Richtung der Erdachse. Diese verschiebt sich zwar, aber nur so, dass ihre verschiedenen Lagen untereinander immer parallel sind.

Die über ein Jahr periodische Änderung der Sonnendeklination ist alleinige Ursache für die Jahreszeiten. Diese würden auch stattfinden, wenn es die Drehung der Erde um sich selbst nicht gäbe (Anmerkung 3). Da es sie aber gibt, und beide Bewegungen gleichzeitig stattfinden, wird der Versuch erschwert, aus der Art der Besonnung von Flächen auf die Jahreszeit bzw. auf das Kalenderdatum zu schließen. Man muß bei der Beobachtung versuchen, die Änderung des Sonnenstandes infolge der Erddrehung "auszublenden".

Die eleganteste Methode ist, die Besonnung rotationssymmetrischer Flächen zu beobachten (Abb.4). Auf ihnen wird ein schmaler Streifen (theoretisch nur eine Mantellinie) streifend besonnt. Diese Erscheinung ist zwar nicht sehr auffällig und läuft über den Tag um, sieht also in jedem Moment gleich aus.
Im Sonderfall der Tagundnachtgleichen (TNG, δ=0) kann eine ebene Fläche benutzt werden. Diese wird ganzflächig streifend beschienen.
Zu den Sonnenwenden (δ =+23,5° bzw. =-23,5°) sind es wie im allgemeinen Fall Kegelflächen mit je einer umlaufenden, streifend beschienenen Mantellinie.
Zusammengefasst: Für die Anfänge der vier Jahrezeiten hätte man zwei keglige und zwei ebene Flächen zu benutzen (praktisch gäbe es nur eine ebene Fläche, da sich letztere für beide TNGn eignet).

Die Herstellung kegliger Körper ist aufwändiger als solcher mit ebenen Oberflächen. Bei Körpern mit ebenen Oberflächen muss die Beobachtung der Sonnenwenden auf eine betimmte Tageszeit festgelegt werden. Die zu beobachtende ebene Fläche wird tangential auf eine zu einer bestimmten Tageszeit gehörenden Mantellinie des Kegels gelegt. Aus praktischen und das Verständnis nicht behindernden Gründen wählt man die zum Sonnenmittag gehörende Mantellinie.
Da sich nämlich am Mittag während einer längeren Zeit (etwa 1 Stunde) die Sonnenhöhe hm (=90°-φ+δ) nicht merklich ändert (für die Sonnenhöhe besteht ein Tages-Solstitium, d.h. ein -Stillstand), wird die Beobachtung durch die Erddrehung praktisch ausreichend lang nicht gestört. Für die Beobachtung besteht keine Eile, und der Beobachter wird nicht durch die Erddrehung, die keinen Einfluß auf die Sonnendeklination hat, abgelenkt.
Die dennoch während dieser Zeit stattfindende Änderung der Sonnendeklimation ist klein genug, um mit bloßem Auge weder direkt noch indirekt am Steiflicht auf ebener anstatt kegliger Fläche überhaupt feststellbar zu sein.

2.2 Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden

Als ein solcher Anzeiger wird die Jahreszeiten-Uhr in ihrer geplanten Konstruktion für das Gertsch-Museum besprochen. Sie enthält passend zur Umgebung nur ebene Flächen. Ihre oben (2.1 Astronomische Grundlagen ...) grundsätzlich dargestellte Funktion wird erreicht und in den beiden Quellen (Abb.2 (Text) und Abb.3 (Zeichnung und Text)) richtig beschrieben, wenn man darin folgende Korrekturen vornimmt.

Dass sie am Mittag anzeigen sollte, wurde nur indirekt gesagt: ...Vielflächner deren eine Fläche präzise nach Norden hin geneigt ist (Abb.2). Genauer ausgedrückt: Es handelt sich um Nordwände, die senkrecht auf der Nord- und Südpunkt enthaltenden Meridianebene stehen und aus der Senkrechten gegen Süden um den Winkel 90°-hm geneigt sind. Die für die Sonnnenwenden vorgesehenen ebenen Flächen tangieren die beiden Kegelflächen aus Abb.4 (blau und gelb). Die Berührungslinien liegen in der Merdianebene. Die an den TNGn zu verwendende ebene Fläche liegt in der Äquatorebene (grün in Abb.4).

Zur SSW wird nicht wie im Sonnen-Sektor eine nach Süden gerichtete Fläche (eine überhängende Südwand, die wohl auch äshetischen und nicht aus bautechnischen Gründen vermieden wurde) wirksam, sondern es ist ihre nach Norden gerichtete Rückseite vorgesehen. Hierzu sind die Aussagen in Abb.2 ... beleuchtet nur an diesem einen Tag diese Fläche und An allen anderen (als am längsten Tag) steht die Sonne tiefer und
vermag deshalb die Fläche nicht zu bescheinen
, zu korrigieren. In Abb.3 ist der zugehörende Teil der Legende in ganzer Länge betroffen.
Im Sommerhalbjahr (die Zeit zwischen Frühlings- und Herbst-TNG) wird nämlich eine ebene Nordwand immer eine zeitlang nach Sonnenauf- bzw. vor -untergang und bei SSW und passender Neigung sogar ganztags beschienen, wobei sie am Mittag aber nur Streiflicht hat (siehe auch Abb.n 4a u. 4b, gelber Quader). Bei etwas weniger Neigung würde sie am Mittag im Schatten liegen.
Die betreffende Legende in Abb.3 sollte lauten:
Die Sonne steht am längsten Tag im Jahr so hoch, dass die gelbmarkierte Fläche ganztägig, am Mittag aber nur steifend bestrahlt wird.
Die blau markierte Fläche ist ganztägig besonnt, was aber nicht erwähnt werden braucht.

Für die TNGn ist nur eine Fläche (nur eine geneigte Nordwand) für beide Ereignisse vorgesehen. Die Legenden in Abb.3 wären wie folgt zu korrigieren:
21. März: Der Schatten ist am Frühlingsanfang zurückgewandert, und die gelb markierte Fläche wird ab jetzt
                wieder ganztags beschienen.

23. September: Die gelb markierte Fläche wird zum ersten mal nicht mehr besonnt, und auf die blau markierte
                          Fläche fällt bis zum nächsten Frühlingsanfang wieder ganztags ein Schatten.


Die für die WSW gemachten Aussagen ... ist die am wenigsten geneigte Fläche das ganze Jahr besonnt und ... am 23. Dezember liegt diese Fläche im Schatten (Abb.2) sind unpräzise. Sie wird nämlich nur im Sommerhalbjahr ganztags von der Sonne beschienen. Ab der Herbst-TNG hat sie ab Sonnenauf- bzw. vor -untergang eine zeitlang Schatten. Zur WSW ist dieser ganztägig geworden, außer dass die Fläche am Mittag dieses Tages noch streifend besonnt ist (siehe auch Abb.n 4a u. 4b, blauere Quader). Sie läge am Mittag des 23. Dezember (und an einigen Nachbartagen) nur dann im Schatten, falls ihre Neigung etwas kleiner als
90°-hm wäre.
Die Legende in Abb.3 sollte kurz lauten:
Am Mittag des kürzesten Tag des Jahres wird die gelb markierte Fläche nur noch streifend beleuchtet.

Beobachten der blauen, anstatt der gelben Flächen: siehe Abb.n 3 und 5

Der Architekt stellt die drei Zinnen mit ihrer jeweiligen Nordwand in den Vordergrund. Deshalb ist vordergründig die Besonnung dieser Wände zu besprechen, wobei als Ereignis deren Streiflicht zu erkennen ist. Von Sonne oder Schatten auf den Ebenen hinter den Nordwänden spricht er nur gelegentlich. Es wäre praktischer und deutlicher erkennbar, die Lichtverhältnisse auf diesen Ebenen zu beurteilen. Ein entsprechendes Ereignis existiert immer dann, wenn die teilweise Beschattung einer solchen Ebene durch die sie begrenzende Zinnen-Nordwand verschwindet. Das ist sicherer zu erkennen, denn Streiflicht wird grundsätzlich erst dann erkannt, wenn Licht und Fläche nicht mehr oder noch nicht exakt parallel sind.

Ergänzende CAD-Darstellungen:


Abb.4a Sonnen-Sektor mit eingefügten regelmäßigen Quadern, die die 3 Zinnen symbolisieren (übertieben groß
             gezeichnet; bei maßstäbl. Darst. wären sie unsichtbar klein und befänden sich ganz nahe der Sphärenmitte)

Abb.4b Radiale Blicke auf das Zentrum des Sonnen-Sektors von Abb.4a
             links: den blauen Quader streifend (Quader taucht mehrheitl. ins den Sektor links begrenzende Material ein)
             rechts: den gelben Quader streifend (Quader liegt am Material, das den Sektor rechts begrenzt, an)

2.3 Vergleich mit einer Sonnenuhr mit zusätzlichen Deklinationslinien auf dem Zifferblatt

Abb.5  Skizze einer Bodensonnenuhr, Nachmittagshälfte
            I bis VII: Stundenlinien
            WSW, T=N, SSW: Deklinationslinien
            G: Schattenwerfender Punkt
            G': Beispiel-Punktschatten

Auf Sonnenuhren (Abb.5) mit punktförmigem Schattenwerfer anstatt mit Polstab sind oft Datums- oder Tageslinien genannte Deklinationslinien angebracht. Der Punktschatten läuft auf ihnen während eines Tages entlang.

Zur Zeit der Sonnenwenden kann die Sonnen-Deklination auf ihnen für einen bestimmten Tag praktisch nicht abgelesen werden. Dafür, dass sie sich während etwa 20 Tagen nur um etwa ± 0,2° ändert, ist der Punktschatten und die Deklinationslinie für eine bessere Ablesegenauigkeit zu dick. Analog gilt das auch für den Vier-Jahresdaten-Anzeiger. Streiflicht auf einer Wand ist auch mit keiner besseren Auflösung erkennbar.

Zu den Tagnachtgleichen ist die Situation sehr viel besser, denn die Sonnen-Deklination ändert sich von Tag zu Tag um etwa 0,4°. Sowohl mittels einer Sonnenuhr als auch mit dem Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden wird man sich maximal nur um einen Tag irren (abgesehen von weiteren zufälligen oder systematischen Fehlern), denn etwa 0,4° muss die Unparallelität zwischen Fläche und sie bescheinendem Licht sein (Anmerkung 4), damit "streifende" Beleuchtung erkennbar ist.

2.4 Varianten zum Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit exakten Nordwänden

Abb.6 Varianten zur geplanten Jahreszeiten-Uhr (Abb.2)
          zusätzlich überhängende Südwände
          zur Sommer-Sonnenwende (Südwand anstatt Nordwand zu verwenden) und
          zu Frühling-/Herbst-Anfang (Südwand gemeinsam mit Nordwand zu verwenden)

Den Anstoß dazu, über Varianten nachzudenken, geben die in den Beschreibungen der geplanten Jahreszeiten-Uhr enthaltenen Ungenauigkeiten und Fehler, vorwiegend im die Spiegelverkehrtheit im die SSW-Zinne Betreffenden. Bei den die Tageszeit anzeigenden Sonnenuhren dominieren Südwände als "Zifferblätter" (Nordwände sind die Ausnahmen). Die Vertrautheit mit den Südwandsonnenuhren kommt wahrscheinlich als eine der Ursachen für die Fehler infrage.

In Abb.6 haben die beiden linken Zinnen auch geneigte (überhängende) Südwände. Gegenüber dem Entwurf mit ausschließlich Nordwänden (Abb.3) ergeben sich folgende Vorteile:

SSW: Auf einer SSW-Südwand und auf einer WSW-Nordwand sind die Verhältnisse zueinander
          (an der Äquatorebene) spiegel-gleich (s.a. Sonnensektor in Abb.4).
          Die Fläche für die SSW ist gleich wie die für die WSW beleuchtet: Ab der vorhergehenden Tagundnachtgleiche
          erhalten die Flächen nach Sonnenauf- und vor Sonnenuntergang eine zeitlang kein Sonnenlicht.
          An den Sonnenwenden erhalten sie nur noch am Mittag etwas Licht (Streiflicht).
          Die SSW-Fläche läge am Mittag des 21. Juni (und an einigen Nachbartagen) im Schatten, wenn ihre Neigung
          etwas größer als 90°-hm wäre.

THGn: Mit für die beiden TNGn getrennten Flächen lässt sich anschaulich zeigen, dass die Sonne an einem solchen
           Tag "die Seite wechselt": Sie überquert den Äquator, der die Grenze zwischen Sommer- und Winterhalbjahr
           (zwischen δ > 0 und δ < 0) bildet.
           Man beobachtet einen Seiten- anstatt einen Wechsel zwischen Licht und Schatten.

3. Ein Vier-Jahresdaten-Anzeiger mit abweichenden Nordwänden (am Gertsch-Museum gebaut)

3.1 Verdrehung warum?   Verdrehung lässt sich vermeiden !

Weil sich die bei WSW verwendete Zinne ab fast einer halben Stunde vor wahrem Mittag im Schatten eines gegenüberliegenden hohen Hauses befindet (Anmerkung 5), wurde eine Lösung für früheres Ablesen gesucht. Die Ablesezeit wurde auf 30 Minuten vor wahrem Mittag festgelegt, d. h. relativ knapp vor dem Eintritt der Zinne in den Schatten. So weit - so gut. Nicht nachvollziehbar ist aber, dass die Nordrichtung der zu beobachteten Fläche verlassen wurde (und das erst noch auch bei den beiden von der Schattenlage zu anderer Jahreszeit gar nicht betroffenen Zinnen). Eine einfache und vom ursprünglichen und sinnvolleren Konzept kaum abweichende Lösung wäre gewesen, die Nordwand der Zinne gering stärker zu neigen, so dass diese zur WSW schon kurz vor Beginn des Eintritts in den Gebäudeschatten streifend beleuchtet wird. Dem Beobachter wäre die eigenartige Festlegung auf einen Tageszeitpunkt erspart geblieben. Er hätte seine Beobachtung lediglich in zeitlicher Nähe des Schatten-Eintritts anstellen sollen (frühestens ab einer halben Stunde vorher), zu welcher Tageszeit der auch immer stattfindet.

3.2 Ablesen zu welchem Zeitpunkt ?

30 Minuten vor wahrem Mittag wurde mit einem Hintergedanken gewählt. Weil die geographische Länge von Burgdorf ziemlich genau 7,5° Ost beträgt, ist das gleich wahrer Mittag (12:00 h) auf dem MEZ-Längengrad 15° Ost (Görlitz). Der Benutzer wird zur Annahme verleitet, dass ihm 12:00 MEZ vorgegeben wird. In Wahrheit muss die MEZ um den Wert der Zeitgleichung korrigiert werden. Zu den TNGn hat diese den nicht vernachlässigbaren Wert von jeweils etwa 7 Minuten. Wahrer Mittag ist in Burgdorf zur März-TNG 12:07 MEZ, zur Herbst-TNG 11:53 MEZ. Da für die TNGn eine Zinnenwand zweimal benutzt wird, lässt sich das mit gegenseitigem Vorzeichen Behaftete nicht beim Verdrehen korrigieren. Somit nehme ich an, dass die Korrektur auch bei den beiden anderen Zinnen unterlassen wurde.

3.3 Wie groß ist die Verdrehung ?

Der Stundenwinkel für 30 Minuten vor Mittag beträgt τ = - 7,5°. Die Verdrehung der Zinnenfläche ist für die SSW am größten, für die WSW am kleinsten. Sie entspricht dem Azimut a der Sonne an diesen Tagen. Mit den fixen Vorgaben für τ und φ (geographische Breite von Burgdorf = 47°) und den drei verschiedenen δ-Werten ergeben die Rechnungen (Anmerkung 6) die drei verschiedenen Verdrehungen der Zinnenwände: SSW - 16,9°, TNGn - 10,2°, WSW - 7,3° (im Gegenuhrzeigersinn in Draufsicht). Mit analogen Rechnungen für den Höhenwinkel der Sonne findet man die Werte für die etwas stärkere Neigung der Wände (in gleicher Reihenfolge: 0,76°, 0,46°, 0,33° stärker).

Abb.7: Anpeilen der Anzeigeflächen der beiden linken
            Zinnen:
            fluchtender Blick auf die Fläche links
            schräger Blick auf die Fläche rechts

In Abb.7 ist erkennbar, dass die beiden darin enthaltenen Zinnenwände (wegen der unterschiedlichen Verdrehung) nicht parallel sind. Bei Parallelität würde bei fluchtendem Blick auf die Wand links die Wand rechts nicht sichtbar sein.

3.4 Vergleich mit einer "naiven" Sonnenuhr

Unter einer naiven Sonnenuhr sei eine verstanden, die mit guter Absicht, aber mit zu geringen astronomischen Kenntnissen erstellt wurde. Eine solche Uhr kann trotzdem einige Tage oder Wochen ausreichend gut funktionieren. Ein Beispiel dafür ist ein am Urlaubs-Strand in den Sand senkrecht eingesteckter Stock, dessen Schatten während des zwei- bis dreiwöchigen Aufenthaltes (i.d.R. in den Monaten Juni bis August, als nahe der SSW) ausreichend gut mit der Tageszeit skalierbar ist. Darüber hinaus ist diese Sonnenuhr dann nicht mehr brauchbar.

Im Unterschied dazu wurden die Wandverdrehungen von einem Astronom vorgeschlagen, und jede der drei Zinnen sollte gar nicht über längere Zeit, sondern sogar nur je an einem einzigen Tag im Jahr und zudem noch zu vorgegebener Tageszeit etwas anzeigen. Eine solche Prozedur ist nicht das Messen einer variablen Größe in Abhängigkeit von einer anderen, unabhängigen Größe. Mit einer Sonnenuhr wird z.B. der Sonnenstand permanent gemessen und aus dem Messergebniss auf die momentane Tageszeit geschlossen. Hier geht es hingegen nur um die Darstellung eines einzigen Wertepaares der beiden Größen. Es findet ein experimenteller Nachweis für seine Zusammengehörigkeit statt. Der Beobachter kann eine solche Zusammengehörigkeit überprüfen, indem er an vorbestimmten Tagen zur vorbestimmten Zeit kontrolliert, ob die prophezeite Beleuchtung einer Zinnenwand existiert. Wenn er nicht am vorbestimmten Tag beobachtet, gibt es nichts zu kontrollieren (Anmerkung 7).

3.5 Beobachtungen bei Frühlingsanfang 2023

Es scheint selten zu sein, dass an einem dieser vier Kalendertage die Sonne scheint. Der gerade vergangene
20. März (Frühlingsanfang: 22:24 Uhr MEZ) war jedenfalls bewölkt. Am 21. März begann die Bewölkung ausgerechnet am Mittag, als das Ereignis Frühlingsanfang auch noch genügend genau hätte ablesbar sein sollen. Aber: Der 22. März war in Burgdorf den ganzen Tag lang sehr sonnig, und ich konnte durchgehend zwischen 11:30 und 13:30 Uhr MEZ beobachten und fotografieren. Ich werde diese letzten Bilder auswerten, wobei ich keineswegs befürchte, dass sie wertlos sein könnten, nur weil sie 1 ½ Tage nach astronomischen Frühlingsanfang gemacht wurden.

WIRD FORTGESETZT

4. Anmerkungen

Anmerkung 1:
Die folgende Abbildung zeigt drei der Bilder-Serie Die Jahreszeiten von Franz Gertsch: Der Winter, Der Frühling und Der Sommer (von links nach rechts). Hinter und über dem mittleren Bild draußen die Jahreszeiten-Uhr. Auf die erhebliche Größe der Bilder kann durch Vergleich mit den Raum-Maßen (knapp 11m breit knapp 15 m lang, reichlich 5 m hoch) geschlossen werden.

Quelle:   DAS EVENTERLEBINS - IM MUSEUM FRANZ GERTSCH   Vier Jahreszeiten-Raum

Anmerkung 2:
Duden: Alibiübung, Bedeutung: "etwas, das nur um des äußeren Scheins willen getan wird (und deshalb in seiner Konsequenz nicht ernst genommen werden kann)"

Anmerkung 3:
"nicht gäbe" würde exakt heißen, dass sich die Erde relativ zu den Sternen einmal pro Jahr um sich selbst dreht. Parallele dazu ist die Eigendrehung des Erdmondes, der sich pro Mondmonat einmal um sich selbst dreht, sodass wir immer dieselbe Seite von ihm sehen.

Anmerkung 4:
Dieser Wert wurde in einem Versuch mit einem planparallel gehobelten Brett gefunden, das in einer Stundenebene der Sonne positioniert war (s. nebenstehende Skizze) Die Zeit zwischen Verschwinden des Streiflichtes auf der Vorder- und Beginn auf der Rückseite wurde mit reichlich 3 Minuten gemessen. Der Stundenwinkel ändert sich in 4 Minuten um 1°. Die gemessene Zeit entspricht somit etwa 2 mal 0,4° Winkeländerung. Der Begriff Streiflicht ist eine Idealisierung dafür, dass Licht und eine ihm ausgesetzte Fläche parallel sind. Mit dem Auge ist die Beleuchtung der Fläche erst bei einer minimalen Nichtparallelität erkennbar. Ohne Benutzen eines Hifsmittels wäre sie noch größer als 0,4°. Benutztes Hilfsmittel war ein senkrecht auf die zu beobachtenden Flächen gesetzter Stift (im einfachsten Fall diese mit einem Finger antippen), dessen endender bzw. beginnender Schatten auf den Flächen Ablesekriterium war.

Anmerkung 5:
Neben und hinter dem Haus stehen sogar noch höhere Laubbäume. Deren Laub fehlt zwar bei WSW, der Schatten der Äste und Zweige ist dennoch ein Erschwernis. Die bei der Herbst-TNG noch belaubten Bäume hinter dem Haus verhindern inzwischen die Benutzung der Anlage in dieser Zeit. Tröstlich ist, dass deren Kronen gestutzt werden dürften.

Anmerkung 6:
Rechnungen mit bekannten Umrechnungsformeln zwischen astronomischen Koordinatensystemen
(Abschnitt 4.3: τ, δ → a,.h)

Anmerkung 7:
Bei den Solstitsien (SSW und WSW) ändert sich die Sonnendeklination über längere Zeit so wenig, dass man den Beobachtungstermin etwa ±10 Tage verpassen kann. Der Beleuchtungstest ist in diesem Zeitraum immer positiv. Was wäre einem säumigen, aber sonst die Vorschrift streng beachtenden Beobachter nun zu sagen? "Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen // Den Vorhang zu und alle Fragen offen" [2].

5. Quellen

[1] Siegfried Wetzel: Sonnen-Sektor, eine vielseitige Gartenplastik, DGC-Jahresschrift 2006
      und Sonnen-Sektor, eine vielseitige Gartenplastik
[2] Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan

LogoSWSiegfried Wetzel, CH 3400, August 2021 (Juli 22, März 23)

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